Medizinische Therapien in der Psychiatrie Hall in Tirol in der Zwischenkriegszeit
Mag. Dr. Christian Lechner (Innsbruck)
Das erfreulich große Interesse an den beiden unter anderem vom Freundeskreis Pesthaus veranstalteten Vortragsabenden im Jänner 2016 (Univ.-Prof. Dr.phil. Thomas Beddies/Berlin „Die Geschichte der Berliner Kinderheilkunde während des Nationalsozialismus“) und April 2016 (Ass.-Prof. i.R. Dr. Karl-Heinz Künzel/Innsbruck „Ötzi und seine Zeit in Innsbruck“) hat zum Beginn der Reihe „Medizin und Geschichte Innsbruck“ (verkürzt MuGI) geführt.
Die MuGI-Abende werden gemeinsam von der Innsbrucker Kinderklinik (zu dieser Zeit interim. Leiter: ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Thomas Müller) und dem Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie (Leiterin: ao.Univ.-Prof. Mag. Dr. Margret Friedrich) der Universität Innsbruck, unterstützt durch die Hypo Tirol Bank und den medizinhistorischen Verein Freundeskreis Pesthaus, organisiert.
Den ersten solchen Vortrag hat nun der Initiator der Reihe, Mag. Dr. Christian Lechner, selbst bestritten. Thema waren die medizinischen Therapien in der Psychiatrie Hall in Tirol in der Zwischenkriegszeit.
Im gut besuchten großen Hörsaal des Kinder- und Herz-Zentrums begrüßte zunächst Prof. Müller, stellvertretend für den durch Krankheit entschuldigten Prof. Gaedicke, die anwesenden Gäste, erinnerte an das große Verdienst von Prof. Gaedicke bei der Unterstützung und Etablierung dieser Reihe und wünschte der Veranstaltung auch für die Zukunft alles Gute.
Der Obmann des Freundeskreis Pesthaus, HR Dr. Christoph Neuner, Landessanitätsdirektor a.D., hatte anschließend Gelegenheit seine Grußworte zu sprechen und skizzierte dabei den Anwesenden auch kurz die Ziele und die Aktivitäten des Pesthaus‘. Zudem lobte er dezidiert die Bemühungen und die Arbeit von Mag. Dr. Lechner inner- wie außerhalb des Vereins und wünschte der Reihe MuGI genug „Muggis“ (tirolerisch für Muskeln, sprich Durchhaltevermögen) für die Zukunft!
Danach begrüßte ao.Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Dietrich-Daum die anwesenden Gäste, auch in Vertretung von Prof.in Friedrich, welche sich krankheitsbedingt entschuldigen ließ, und stellte dabei auch kurz das Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie und besonders die dortigen medizinhistorischen wissenschaftlichen Aktivitäten vor. Unter anderem initiierte Prof.in Dietrich-Daum das Projekt zur historischen Aufarbeitung des Psychiatrischen Krankenhauses Hall in Tirol, in dessen Rahmen Mag. Dr. Lechner auch sein Vortragsthema bearbeitet hat.
Nach diesen freundlichen und interessanten Begrüßungen begann der eigentliche Vortrag. Mag. Dr. Lechner führte dabei dezidiert breit in das Thema ein, skizzierte den anwesenden Gästen die Entwicklung der Psychiatrie als medizinische Disziplin und sprach hierbei auch über die wichtigsten Protagonisten und deren Behandlungs- und Erklärungsversuche von psychischen Krankheiten. Auch die Entwicklungen der Psychiatrie in Hall selbst wurden dabei besprochen. Schließlich gelangte er zum Hauptthema des Abends und referierte über die unterschiedlichen Behandlungsformen in der Psychiatrie am Beginn des 20. Jahrhunderts bzw. der Zwischenkriegszeit. Nach Arbeitstherapie und Bettbehandlung, erklärte Mag. Dr. Lechner das Procedere bei der sog. Dauerbadtherapie sowie deren dahinterstehende Gedanken zur Heilung bzw. Therapie von PatientInnen. Die anwesenden Gäste zeigten sich bei der anschließend vorstellten Malariatherapie überrascht bis entsetzt über diese Methode zur Behandlung der progressiven Paralyse, dem Endstadium der Neurosyphilis. Dabei infizierte der Begründer, Julius Wagner-Jauregg, die PatientInnen mit Malaria, da er beobachtet hatte, dass deren Symptome sich durch eine fieberhafte Infektion signifikant besserten. Allerdings verstarben auch einige mit dieser Methode therapierten PatientInnen.
Als nächste Therapieformen während der Zwischenkriegszeit kam Mag. Dr. Lechner über die Insulin- und Cardiazolschocktherapien zu sprechen. Erstere wurde von Manfred Sakel im Jahr 1933 entwickelt, letztere etwa zeitgleich von Ladislas von Meduna. Beide wurden vor allem bei schizophrenen PatientInnen angewandt. Auch hier ging der Verwendung am Patienten eine entsprechende Beobachtung heraus, nämlich, dass die psychischen Entzugssymptome bei drogensüchtigen PatientInnen durch Insulin gebessert werden konnten. Diesen Effekt wollte Sakel bei Schizophrenie-PatientInnen reproduzieren, was ihm laut den vom ihm publizierten Ergebnissen auch gelang. Einige Zeitgenossen, darunter von Meduna, erachteten dabei gerade die teilweise durch die Hypoglykämie (Unterzucker) induzierten Krampfanfälle als besonders therapeutisch und versuchten sich deswegen an krampfauslösenden Alternativen. Von Meduna empfahl dafür (nach Versuchen an Meerschweinchen für die richtige Dosisfindung) eben Cardiazol, unangenehmer Nebeneffekt dieser Therapie waren jedoch vermehrtes Angstgefühl und häufige Knochenbrüche durch die massiven Krampfanfälle. Laut den zeitgenössischen Erfahrungsberichten besserte sich der Großteil der mit diesen Schocktherapien behandelten PatientInnen klinisch aber deutlich.
Bei all diesen Therapieformen wies Mag. Dr. Lechner darauf hin, dass diese jederzeit im zeitlichen Kontext gesehen werden müssen. Die veröffentlichten positiven Ergebnisse der vorgestellten, für uns heute als grausam empfundenen Therapien haben die damaligen Psychiater sicherlich sehr zur Anwendung animiert. Immerhin standen sonst auch kaum Möglichkeiten zur Therapie von schweren Schizophrenien und progressiven Paralysen zur Verfügung, in der Psychiatrie bestand aus diesem Grund ein regelrechter „therapeutischer Nihilismus“ am Beginn des 20. Jahrhunderts. Mit den beschriebenen somatischen Therapien begann entsprechend der „therapeutische Aufbruch“ in dieser medizinischen Disziplin.
Abschließend gab es noch ein paar interessierte Nachfragen und ergänzende Kommentare, bevor der Abend bei einem Getränk und informellem Miteinander ausklang.